2-03 Geochronologie und geologische Zeitskala
Prinzipiell kann jedes Altersmodell mit der globalen chronostratigraphischen Tabelle verknüpft werden
Geochronologie
Nach dem Internationalen Stratigraphischen Leitfaden (-> 2-02) beschäftigt sich die Geochronologie mit der „Datierung und Bestimmung der zeitlichen Abfolge von Ereignissen in der Geschichte der Erde“ (SALVADOR 1994, 16). Die geochronologische Einheit ist eine Einheit der geologischen Zeit; „Zeit, die durch geologische Methoden bestimmt wird“. Die geochronologische Einheit ist „kein Gesteinskörper und deshalb keine stratigraphische Einheit“ (SALVADOR 1994, 16); sie ist immateriell. Die formalen geochronologischen Einheiten sind, hierarchisch aufsteigend: Alter, Epoche, Periode, Ära, Äon (-> 2-02, Abb. 1). Die konkreten Bezeichnungen allerdings sind identisch mit denen der Chronostratigraphie: Das geochronologische Äquivalent zu Kreide (System, chronostratigraphisch) ist Kreide (Periode).
Konstruktion einer geologischen Zeitskala
Die Konstruktion einer geologischen Zeitskala – hier am Beispiel der GTS2012 (s. u.) – vollzieht sich in vier Schritten (GRADSTEIN 2012, 4):
„Schritt 1: Konstruiere für die Gesteinsüberlieferung der Erde eine aktualisierte, globale chronostratigraphische Tabelle.
Schritt 2: Identifiziere für die chronostratigraphische Tabelle entscheidende, lineare Alters-Kalibrierungsniveaus unter Verwendung radiogener Isotopenaltersdaten und/oder wende astronomisches Tuning auf zyklische Sedimentation[1] an oder skaliere und interpoliere (annähernd) lineare Segmente von Sequenzen stabiler Isotope[2].
Schritt 3: Interpoliere die kombinierte chronostratigraphische und chronometrische Skala (…).
Schritt 4: Kalkuliere oder schätze Fehlerbalken der kombinierten chronostratigraphischen und chronometrischen Information, um eine geologische Zeitskala mit Unsicherheitsschätzungen zu den Grenzaltern und der Dauer der Einheiten zu gewinnen.“
Zu Schritt 1 und 2: Die abstrakte, Zeit-relative chronostratigraphische Tabelle existiert unabhängig von einem chronologischen Altersmodell (Schritt 1). So kann prinzipiell jedes Altersmodell mit der chronostratigraphischen Tabelle verknüpft werden (vgl. -> 2-32). Die Geologische Zeitskala 2012(Geologic Time Scale 2012, GTS2012) ist das Ergebnis der Verknüpfung der chronostratigraphischen Tabelle (Skala) mit dem Altersmodell von GRADSTEIN et al. (2012) (primär Schritt 2) (-> 2-02, Abb. 1).[3] Das etablierte (radiometrische) Altersmodell für das Phanerozoikum in der Version von 2012 beruht auf etwas mehr als 260 ausgewählten, interpretierten Alterswerten von geologischen Objekten bekannter stratigraphischer Stellung.
Funktion und Bedeutung der geologischen Zeitskala (aktuell GTS2012)
In der Einführung zur GTS2012 heißt es zu Beginn (GRADSTEIN 2012, 1): „Die geologische Zeitskala (GTS) ist das Rahmenwerk für die Entschlüsselung der langen und komplexen Geschichte unseres Planeten (…)“ (kursiv durch den Verfasser). Dieser einleitende Satz ist unmissverständlich: Die geologische Zeitskala 2012 ist einzig das Rahmenwerk.[4] Hier liegt eine Tatsachen-Aussage vor, obwohl die Geologie von einer langen Geschichte (folglich einer langen Zeitskala) nur ausgeht: „Sie [Die Geologie, MK] geht davon aus, dass das heutige Erscheinungsbild der Erde das Ergebnis einer langen und wechselvollen Entwicklung ist (…)“ (LOTZE 1968, 7; kursiv durch den Verfasser).
Diesem Altersmodell, dieser Interpretation, muss aber nicht gefolgt werden. Im Internationalen Stratigraphische Leitfaden heißt es: „Einzelne, Organisationen oder Nationen sollen sich nicht verpflichtet fühlen, ihm [dem Leitfaden, MK] oder einem Teil daraus zu folgen, es sei denn, dass sie von seiner Logik und seinem Wert überzeugt sind“ (SALVADOR 1994, 4).
Literatur
GRADSTEIN FM (2012) Introduction. In: GRADSTEIN
FM, OGG JG, SCHMITZ MD & OGG GM (Eds.) The Geologic Time Scale 2012.Volume 1, 1-30. Oxford Amsterdam.
GRADSTEIN FM, OGG JG, SCHMITZ MD & OGG GM (Eds.) (2012) The Geologic Time Scale 2012.Volume 1/2, Oxford Amsterdam.
HINNOV LA & HILGEN FJ (2012) Cyclostratigraphy and Astrochronology. In: GRADSTEIN FM, OGG JG, SCHMITZ MD & OGG GM (Eds.) The Geologic Time Scale 2012.Volume 1, 63-84. Oxford Amsterdam.
KOTULLA M (2015) Sedimentfolgen und ihre Interpretation: Zyklostratigraphie und das Milankovitch-Zyklen-Syndrom. W+W Special Paper G15-1, Baiersbronn. https://www.wort–und–wissen.org/wp–content/uploads/g–15–1_zyklostratigraphie_und_milankovitch–zyklen.pdf
LOTZE F (1968) Geologie. Sammlung Göschen, Band 13/13a, Berlin.
SALVADOR A (1994) (Ed.) International Stratigraphic Guide. 2nd ed.
SMITH AG, BARRY T, BOWN P, COPE J, GALE A, GIBBARD P, GREGORY J, HOUNSLOW M, KEMP D, KNOX R, MARSHALL J, OATES M, RAWSON P, POWELL J & WATERS C (2015) GSSPs, global stratigraphy and correlation. In: SMITH DG, BAILEY RJ, BURGESS PM & FRASER AJ (eds) Strata and Time: Probing the Gaps in Our Understanding. Geological Society, London, Special Publication 404, 37-67.
-> = Verweis auf andere Beiträge: ->2-01.
[1] Bezieht sich auf Kapitel 4 „Cyclostratigraphy and Astrochronology“ (HINNOV & HILGEN 2012; Zyklostratigraphie und Astrochronologie) des 1. Bandes von The Geologic Time Scale 2012 (GRADSTEIN et al. 2012); zu dieser Methodik siehe KOTULLA (2015).
[2] Bezieht sich auf die Kapitel 7 bis 11 (Strontium-, Osmium-, Schwefel-, Sauerstoff- und Kohlenstoff-Isotopenstratigraphie) des 1. Bandes von The Geologic Time Scale 2012 (GRADSTEIN et al. 2012).
[3] SMITH et al. (2015, 38) merken an, dass The Geologic Time Scale 2012 (GRADSTEIN et al. 2012) kein offizielles Dokument der International Commission on Stratigraphy (ICS) sei: „However, though GTS2012 is an invaluable compendium of stratigraphic data, it is not an official document of the International Commission on Stratigraphy (ICS) and it does not deal with many of the issues raised in this paper.”
[4] Die Ausgabe von 2004 lautet A Geologic Time Scale 2004. In der Ausgabe von 2012 ist also bewusst eine Veränderung von „A“ (Eine) auf „The“ (Die) vollzogen worden.