Archäologische Spuren des ersten Tempels auf dem Berg Garizim?

Archäologische Spuren des ersten Tempels auf dem Berg Garizim?

Der derzeitige Ausgräber auf dem Berg Garazim, Yitzhak Magen, Archäologe der israelischen Zivilverwaltung für Judäa und Samaria, und sein Kollege Ephraim Stern von der Hebräischen Universität in Jerusalem glauben auf Überreste eines Tempels aus der israelitischen Königszeit gestoßen zu sein. Dabei handelt es sich um zwei Säulenkapitelle und das Fragment eines dritten Kapitells, die die Archäologen stilistisch als proto-äolisch einstufen (Abb. 1).

Abb.1: Zwei der gefundenen Säulenkapitelle

Vergleichbare Bausteine wurden zu Dutzenden an anderen Orten, u.a. Hazor, Megiddo, Samaria und Jerusalem gefunden. Das Muster ist zudem auf bildlichen Darstellungen auf Elfenbein und anderen Materialien nachgewiesen. Die israelitischen Funde, die von den judäischen unterscheidbar sind, werden gewöhnlich ins neunte und achte Jahrhundert v.Chr. datiert. Das immer wiederkehrende Muster auf den Kapitellen ist eine Variation des sog. Lebensbaums, des verbreitetsten Motivs im antiken Nahen Osten von Ägypten bis Zypern und darüber hinaus.

Das Motiv selbst ist für Kanaan seit der Späten Bronzezeit bekannt. Zur Zeit der Monarchie symbolisierte es nach Meinung der Fachleute v.a. die Astarte, die wichtigste weibliche Gottheit der Phönizier. Am oberen Rand der Kapitelle befindet sich eine Reihe von Streifen, deren Bedeutung nicht mehr identifizierbar ist, da die Oberkanten wie auch die Seiten für die sekundäre Nutzung als Bausteine behauen wurden. Aus dem Vergleich mit besser erhaltenen Strukturen dieser Art an anderen Stellen des alten Orients vermuten die Forscher, dass es sich um die Hälse von Uräusschlangen handelte.

Die Uräusschlange war unter anderem das bestimmende Element der Kopfbedeckung der Pharaonen. Das zum Stoß bereite Reptil sollte Zauberkraft und Gefährlichkeit des Königs symbolisieren. Später, während der persischen und hellenistischen Zeit unterbanden die strikt monotheistisch ausgerichteten Religionsbehörden in Samaria die Neuanfertigung derartiger Muster. Der phönizisch-israelitische Baustil wurde durch den assyrischen Stil ersetzt.
Als typisch für die alte phönizisch-israelitische Spielart des Lebensbaums gilt die Verbindung eines zentralen Dreieckmusters mit von diesem ausgehenden spiralförmigen Verwindungen.

Die Kapitelle wurden nicht in situ, d.h. in ihrem ursprünglichen Kontext gefunden. Als die Assyrer nach der Zerstörung des Nordreichs 701 v.Chr. eine fremde Bevölkerung in die frei gewordenen Gebiete deportierte, nutzte diese die Steine der in Trümmern liegenden Städte, um für sich neue Gebäude zu errichten. Die nachträglich abgetragenen Kanten der Kapitelle zeugen noch heute von dieser Tätigkeit.

UZ

[Stern E & Magen Y (2002) Archaeological Evidence for the First Stage of the Samaritan Temple on Mount Gerezim. Israel Exploration Journal 52, 49-57.]

Ursprünglicher Artikel: https://si-journal.wort-und-wissen.org/sij/article/view/3809/7282