Von Gott gerufener „Wurm“ bei Ninive identifiziert?

Von Gott gerufener „Wurm“ bei Ninive identifiziert?

Bibellesern ist der Prophet Jona vertraut, den Gott beauftragte, nach Ninive zu gehen und den Bewohnern Gottes Gericht anzukündigen. Nachdem Jona seinen Auftrag nach zwischenzeitlichen Umwegen ausgeführt hat und dabei unerwartet und ungewollt erfolgreich war, wartete er am Stadtrand beobachtend ab, ob Gott sein angekündigtes Gericht über Ninive ausführte. Er baute sich dazu nördlich der Stadt eine Schattenhütte und Gott spendete einen Rizinusstrauch, den er Jona zum Gleichnis werden ließ.

Dass es sich bei dem im hebräischen Bibeltext mit „kikayon“ bezeichneten Strauch um ein Exemplar der Gattung Rizinus handelt, wird von vielen Experten, sowohl botanischen als auch theologischen, akzeptiert. „Kikayon“ ist auch aktuell der botanische Fachausdruck für Rizinus in der hebräischen Sprache. Weniger Klarheit herrscht bei dem hebräischen Begriff „tola´at“, der in vielen deutschen Übersetzungen in Jona 4,7  mit „Wurm“ wiedergegeben ist.a Bei dem in 5. Mose 28,39 genannten   Wurm, der den Weinstock abfrisst, könnte es sich um die Raupe eines Kleinschmetterlings (eines Wicklers, Tortricidae) handeln; bei den in Mt 6,19 und Lk 12,33 erwähnten Motten, die auf Erden gesammelte Schätze zerstören, könnte von der Kleidermotte (Tineola bisselliella) die Rede sein (ebenso wie in Hi 13,28 und Jak 5,2).
In einer Arbeit, welche die Autoren als einen Höhepunkt der langjährigen Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörde für Naturreservate und Nationalparks in Israel, der Universität Tel Aviv, der Hebrew University Jerusalem, des Museums Witt, München, und der Zoologischen Staatssammlung München bezeichnen, veröffentlichten Witt et al. (2005) die Beschreibung einer neuen Bärenspinnerart (Arctiidae) Olepa schleini.1

Abb. 1: Olepa schleini im Stadium der Motte. Quelle: Klaus Schönitzer – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Der Holotypb (Larve) war 2002 nördlich von Tel Aviv gefunden und im Museum Witt, München, deponiert worden. Weitere Exemplare, erwachsene O. schleini, waren – auch bereits 2000 – in verschiedenen Gebieten entlang der Küstenebene Israels gesammelt worden. Der neue Artname schleini wurde von den Autoren zu Ehren des israelischen medizinischen Entomologen Prof. Yosef Schlein, Hebrew University, Jerusalem, gewählt.
Witt et al. (2005) beschreiben O. schleini als dunkel grau-braunen Bärenspinner mit einer Flügelspannweite von 35–50 mm (♂) und 60–80 mm (♀).2 Nur wenige Exemplare mit orangefarbenen Hinterflügeln sind bisher gefunden worden. Durch Differenzialanalyse von Färbungsmerkmalen, äußerer und innerer Morphologie, sowie die Ergebnisse einer Sequenzierung des Cytochrom-c-Oxidase I Gens (mitochondriale DNA, mtDNA; DNA-Barcoding) konnte die neue Art von anderen Olepa-Arten abgegrenzt werden, die auf dem indischen Subkontinent beheimatet sind.

In zwei weiteren Veröffentlichungen haben die Autoren aufgrund von Beobachtungen bei der Zucht von O. schleini im Labor die frühen Larven- und Entwicklungsstadien beschrieben (Müller et al. 2006a) sowie das geographische Vorkommen, die jahreszeitlichen Erscheinungen (Phänologie), Ökologie und Verhalten der neuen Bärenspinnerart beschrieben (Müller et al. 2006b).3,4
Interessanterweise haben Hausmann & Müller in derselben entomologischen Zeitschrift einen Beitrag veröffentlicht, den sie mit der Feststellung überschreiben: Die biblischen Würmer an Jonas Rhizinus waren Olepa schleini-Larven.

Im Text bringen die Autoren zunächst auch theologische Aspekte zum Buch Jona, bevor sie auf die von ihnen beschriebene neue Bärenspinnerart Olepa schleini kommen und dabei vor allem betonen, dass deren Larven sowohl in ihrem natürlichen Lebensraum als auch im Labor ausschließlich Rizinus als Futterpflanze akzeptieren.

Dabei ist die gesamte Pflanze sehr toxisch und es sind nur wenige Insekten bekannt, die u.a. auch an Rizinus fressen, ohne erkennbare Schäden davon zu tragen. In Israel war aber bis zu den Beobachtungen an O. schleini kein Insekt bekannt, zu dessen Nahrungsspektrum Rizinuspflanzen gehören. Hausmann & Müller (2006) schreiben, dass die Bärenspinnerlarve der weitaus wahrscheinlichste Kandidat für den biblischen „Wurm“ sei.5 Die Larven versammeln sich massenhaft und selektiv an Rizinusstauden und können diese in kürzester Zeit massiv schädigen. Eine weitere Übereinstimmung zwischen Verhalten der Schmetterlingslarve und dem „Wurm“ an Jonas Rizinus ist deren Nachtaktivität – bei Tag verkriechen sich die Raupen im Streu der Vegetation um den Busch – und die Bemerkung in Jona 4,7, dass der Wurm den Rizinus vor Tagesanbruch stach (hebr.: nakah, was auch mit schlagen, befallen, mahlen, erlegen, töten übersetzt werden kann) und der dann – nach Tagesanbruch – durch den von Gott beorderten sengenden Ostwind verdorrte.

Abb. 2: Von Olepa Schleini im Raupenstadium befallene Rizinusstaude. Quelle: Plegadis – Eigenes Werk, CC0

Die beiden Autoren stellen abschließend noch die Frage, warum der Rizinusschädling so lange unbemerkt geblieben sein kann. Sie halten aufgrund der genetischen Untersuchung eine erst kurz zurückliegende Invasion in Israel für unwahrscheinlich. Als Ursache für die enorm lange Zeit zwischen Jona und der Entdeckung in 21. Jahrhundert sehen die Autoren darin, dass es nur sehr unvollständige Auflistungen von Schmetterlingen in Israel gab und dass es seit dem Start der eingangs erwähnten Kooperation von deutschen und israelischen Einrichtungen im Jahr 1978 15 Jahre umfangreichster Feldstudien bedurfte, um Opela schleini zu entdecken.

Es ist sehr interessant, dass Entomologen, also Spezialisten für Insekten, nach der Entdeckung einer neuen Schmetterlingsart den Zusammenhang zwischen deren Verhalten und den biblischen Texten von Jona entdecken, diesen prüfen und dann sogar darüber in einer Zeitschrift für Insektenkunde einen Beitrag dazu veröffentlichen. Für Bibelleser macht diese Entdeckung einmal mehr deutlich, dass biblische Texte Vorgänge in der Welt beschreiben, in der wir heute unsere Erfahrungen machen und wissenschaftliche Untersuchungen anstellen können. Auch wenn in einem strengen Sinne nicht bewiesen werden kann, dass Opela schleini wirklich in den Tagen von Jona östlich von Ninive eine Rizinusstaude in einer Nacht so schädigte, dass sie der heiße Ostwind vollends verdorrte, kann ein solcher Bericht Mut machen, den biblischen Texten zu vertrauen.

Harald Binder

Quellen

1 Witt et al., 2005 (Lepidoptera, Arctiidae). Mitt. Münch. Entomol. Ges. 95, 11–18.
2 Witt TJ, Müller GC, Kravchenko VD, Miller MA, Hausmann A & Speidel W (2005) A new Olepa species from Israel. NachrBl. Bayer. Entomol. 54, 101–115.
3 Müller GC, Kravchenko VD, Speiderl W, Hausmann A, Orlova OB, Toledo J & Witt TJ (2006a) Description of early stages and laboratory breeding of Olepa schleini.
4 Müller GC, Kravchenko VD, Speiderl W, Hausmann A, Ortal R, Miller MA, Orlova OB & Witt TJ (2006b) Distribution, phenologie, ecology, behavior and issues of conservation of the Israeli tiger moth, Olepa schleini Witt et al., 2005 (Lepidoptera, Arctiidae). Mitt. Münchn. Entomol. Ges. 95, 19–29.
5 Hausmann A & Müller GC (2006) The biblical worms on Jonah´s Ricinus were Olepa schleini larvae (Lepidoptera, Arctiidae). Mitt. Münch. Entomol. Ges. 95, 5–9.

Anmerkungen

a Im Zusammenhang mit einer Veröffentlichung in „Das Fundament“ des Deutschen Christlichen Technikerbundes (DCTB) machte mich Silke Schloe, eine DCTB-Mitarbeiterin, auf einen Zeitungsartikel aufmerksam, der mich zu einer entsprechenden Recherche veranlasste, deren Resultat hier zusammengefasst ist.
b Das Individuum, anhand dessen eine neue Art beschrieben wird und das beim Vergleichen als Referenz herangezogen wird.

Ursprünglicher Artikel: https://www.wort-und-wissen.org/info/wort-und-wissen-info-2-2021/