Bericht zu den Archäologietagungen 2021: Zwei Tagungen zu komplexen chronologischen Themen
Im Jahr 2021 fanden gleich zwei wissenschaftliche Tagungen im Rahmen unserer Archäologie-Arbeit statt. Beide konnten wegen der Corona-Maßnahmen nur digital durchgeführt werden, da anderenfalls mehrere internationale Referenten nicht hätten teilnehmen können. Bei der ersten Tagung handelte es sich um unsere Archäologie-Tagung von Wort und Wissen. Sie fand am 8./9. Oktober statt und stand fast gänzlich im Zeichen der radiometrischen Datierung. Die zweite Tagung war diejenige des internationalen Chronologie-Arbeitszweigs BICANE (d. h. Bronze to Iron Age Chronology of the Ancient Near East). Sie fand eine Woche später am 16./17. Oktober statt, und beschäftigte sich primär mit der Chronologie Assyriens und der Gebiete, die während des 2. und 1. Jahrtausends v. Chr. unter die Herrschaft Assyriens gerieten. Dazu gehörten auch Israel und Edom. Beide Tagungen waren gut besucht. Die Relevanz der Tagungsthemen für unsere Arbeit bei Wort und Wissen bedarf allerdings einer Erklärung, die im Folgenden gegeben werden soll.
Abb. 1: Jehu von Israel (841–814 v. Chr.) kniend vor König Salmanassar III. von Assyrien im 18. Regierungsjahr des assyrischen Monarchen (= 841 v. Chr.). Die Chronologie der Könige Israels basiert im frühen 1. Jahrtausend v. Chr. weitgehend auf Synchronismen mit Assyrien (Bild: P. van der Veen, Schwarzer Obelisk, British Museum, London).
Wie Sie vielleicht aus unseren archäologischen Publikationen wissen, datieren wir den biblischen Auszug aus Ägypten und die Landnahme Kanaans auf die zweite Hälfte des 15. Jhs. v. Chr. Dieses Datum basiert auf 1. Könige 6,1, wo geschrieben steht, dass das vierte Regierungsjahr Salomos zugleich auch das 480. Jahr nach dem Auszug aus Ägypten war. Das Datum wird zudem von Aussagen in Richter 11,26 gestützt. Basierend auf Synchronismen der Könige Israels mit Assyrien (deren Chronologie zurück bis 910 v. Chr. als gesichert gilt), kann der Anfang von Salomos Regierung auf ca. 970 v. Chr. datiert werden. Eine Ausführung dazu findet sich im Anhang A unseres Buches Keine Posaunen vor Jericho? (Zerbst & van der Veen: 20183). Trotz des biblischen Datums konnten jedoch bisher aus den konventionell datierten Schichten des 15. Jhs. (die der Spätbronzezeit I) keine klaren Indizien für den Auszug und die Landnahme erhalten werden. Dagegen finden wir sie während der zweiten Hälfte der Mittleren Bronzezeit, die nach der traditionellen Chronologie 100–150 Jahre früher endete. Wie wir in unseren Büchern Volk ohne Ahnen? (2013) und Keine Posaunen vor Jericho? (2018) erörtert haben, finden wir nämlich während dieser Epoche Hinweise auf viele Vorderasiaten im östlichen Nildelta Ägyptens (Goschen), Sklaven mit hebräischen Namen in ägyptischen Papyri und Verwüstungsschichten in Kanaan (u. a. in Jericho und Hazor), die mit dem biblischen Bericht konsistent sind.
Akzeptieren wir das biblische Datum und setzen wir die biblischen Ereignisse mit denen der Mittleren Bronzezeit gleich, so steht die Frage im Raum, ob die traditionelle Datierung der archäologischen Schichten (die im 2. Jt. v. Chr. auf der Chronologie Ägyptens beruht) korrigiert werden muss. Denn wie ließe sich die zeitliche Diskrepanz anders erklären? Tatsächlich gibt es überzeugende Hinweise, die für eine Verkürzung der ägyptischen Chronologie sprechen. Dies kann jedoch vorerst nur eine Arbeitshypothese bleiben, da geprüft werden muss, ob auch andere Aspekte der Chronologie zufriedenstellend geklärt werden können.
Auf einige dieser Aspekte sind wir in unseren Publikationen eingegangen, wo das Für und Wider einer solchen Rekonstruktion abgewogen wird (für eine Zusammenfassung: s. U. Zerbst, Spurensuche: Zum Verhältnis von Datierung und biblischer Archäologie, 2021). Wie wir dort zeigen, reicht es eben nicht aus, wenn wir nur die Chronologie Ägyptens revidieren. Auch die Zeitrechnung Assyriens und Babylons, die der Hethiter usw. müsste entsprechend angepasst werden. Denn zwischen diesen Kulturen gab es einen regen Austausch. Eine umfassende Revision der antiken Chronologie ist somit ein komplexes Unterfangen. Kurz und gut: die Chronologie Ägyptens kann nicht von den Chronologien der anderen Kulturen des Nahen Ostens losgelöst werden. „Wer also A sagt, muss auch B sagen.“ Es muss eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden.
Die BICANE-Tagung
Abb. 2: „Mikroarchäologische” Probenentnahme in einer Grabung am Osthang der Davidstadt in Jerusalem (Bild: J. Regev, mit freundlicher Genehmigung).
Nun noch einige Erläuterungen zu Assyrien, dem Hauptthema der BICANE-Tagung: Die assyrische Chronologie gilt nur zurück bis zum Jahr 910 v. Chr. als gesichert, da erst ab diesem Datum eine auf das Jahr genaue Chronologie mit Hilfe von Jahresnamen und einer Sonnenfinsternis aus dem Jahr 763 v. Chr. erstellt werden konnte. Für die Zeit davor ist es schwieriger, da uns viele Informationen fehlen. Meistens wird jedoch davon ausgegangen, dass die aus der assyrischen Spätzeit stammenden linearen Königslisten etwa der Wirklichkeit des 2. Jts. v. Chr. entsprechen. Auch wenn diese Vermutung von einigen „Distanzdaten“ unterstützt wird, so ist doch festzuhalten, dass diese Daten auf Regierungslängen in der bestehenden Königsliste selbst zurückgehen. Es handelt sich also nicht um unabhängige Angaben.
Unabhängige Quellen deuten dagegen darauf hin, dass das von den späteren Chronisten verfasste Bild für das 2. Jt. nicht unbedingt stimmen muss, da manche Herrscher in der Königsliste fehlen, während andere vermutlich nie existiert haben. Auch dürfte es zeitweise Paralleldynastien gegeben haben, die über verschiedene Landesteile regierten. Diese Vermutungen (!) reichen jedoch nicht aus, um eine alternative Chronologie zu erstellen, weshalb auch während der BICANE-Tagung gleich mehrere Rekonstruktionen vorgeschlagen wurden.
Zudem wurden Argumente präsentiert, die dafür sprechen, dass bisher sicher geglaubte zeitliche Übereinstimmungen nicht stimmen müssen, da Königsnamen teilweise stark rekonstruiert und vielleicht falsch gelesen worden sind. Auch tauchen in den Randgebieten des Reiches „Geisterkönige” bzw. Dopplungen auf, die durch eine überdehnte Chronologie entstanden sein dürften. Die Beiträge der Tagung werden in einem Tagungsband erscheinen.
Radiometrische Datierung
Wie verhält es sich nun mit der radiometrischen Datierung, dem Hauptthema der ersten Tagung? Die C14-Methode hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend stärker als Problem für jede bisherige historische Chronologie entpuppt, da sie für das 2. Jt. teils 100 und für das 3. Jt. teils bis zu 300 Jahre höhere Daten liefert, die aus historischer und archäologischer Sicht nicht einfach erklärt werden können. Deshalb haben wir führende C14-Experten zur Archäologie-Tagung eingeladen, um die heute deutlich verfeinerte Methode (u.a. der Bayes’schen Statistik) zu erklären und die daraus entstandenen Fragen zu diskutieren.
Nach einer längeren Einführung von Uwe Zerbst erklärte ein israelisches Forscherehepaar, wie heute einem stratigraphisch sicheren Kontext „mikroarchäologisch” Proben entnommen werden können, um bisherige Ungenauigkeiten auszuschließen. Ihre Ergebnisse lieferten in jüngster Zeit Datierungen für das Ende der Mittleren Bronzezeit, die bis ins 15. Jh. v. Chr. zurückreichen und nur noch wenige Jahrzehnte vom biblischen Datum der Landnahme entfernt sind. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieses Bild künftig erhärten wird.
Es wurden auch Bedenken geäußert, ob ältere Zweifel an der Unabhängigkeit der dendrochronologischen Eichkurven endgültig ausgeräumt wurden. So wiesen Uwe Zerbst und Peter van der Veen auf Unstimmigkeiten bei C14-Daten hin, die mit der sicheren Chronologie des 1. Jahrtausends v. Chr. unvereinbar sind, wie dies z. B. bei Proben aus der Zerstörungsschicht Ninives (612 v. Chr.) und aus späteisenzeitlichen Schichten in Süd-Jordanien der Fall zu sein scheint. In beiden Fällen ergaben die Messungen Daten, die bis zu 200 Jahre höher sind, als die historischen Daten es erlauben. Es bedarf jedoch einer deutlich größeren Datenmenge, bevor man von einem systematischen Fehler ausgehen könnte.
Das Fazit beider Tagungen stimmt hoffnungsvoll, dass auch im Bereich der Assyriologie und der C14-Methode Lösungen gefunden werden können.
Peter van der Veen
Ursprünglicher Artikel: https://www.wort-und-wissen.org/info/wort-und-wissen-info-2-2022/