Essener-Gräber in Jerusalem?
Vermutlich aus der Zeit des zweiten Tempels (1. Jhd. vor und 1. Jhd. nach Christus) stammen 50 Begräbnisstätten, die unlängst bei einer Notgrabung in Beit Safafa im Südwesten Jerusalems entdeckt wurden. Die Gräber unterscheiden sich auffällig von Grabanlagen, wie sie für diese Zeit in Jerusalem üblich sind. Statt dessen weisen sie große Ähnlichkeit mit Grabmalen in der Siedlung der Essenersekte in Qumran auf. Der Vergleich betrifft sowohl Form und Anlage als auch Ausstattung. Anders als die üblichen Jerusalemer Familiengräber nahmen sie jeweils nur eine Person auf. Sie waren weniger geräumig und hatten eine typische L-förmige Anlage. Auch weisen sie nicht die sonst so auffällige, reiche Ausstattung an Grabbeigaben auf. Ihre strenge Nüchternheit würde gut zum Bericht des Josephus passen, wonach die Essener auf persönlichen Reichtum verzichteten. Die auffälligste Eigenart ist für Boaz Zissu, einen der Ausgräber von Beit Safafa, das Fehlen von Beinhäusern. Nur eines der 50 Gräber schloß ein solches Beinhaus ein – im Gegensatz zu den knapp tausend Grabstätten, die in Jerusalem bisher gefunden wurden.
In Jerusalem wurden vor dem Beit-Safafa-Fund nur zwei Grabmale dieses Typs entdeckt, für Qumran ist er dagegen typisch. Der Fund könnte eine These erhärten, die beispielsweise Bargil Prixner (s.u.) vertritt, wonach Qumran nur ein Zufluchtsort der Essener gewesen wäre; diese hätten mehrheitlich in Jerusalem und anderen Städten des Landes gelebt. [Rochman B (1997) The missing link? Rare tombs could provide evidence of Jerusalem Essenes. Biblical Archaeology Review 23, No. 4, 20-21; vgl. auch: Prixner B (1997) Jerusalem’s Essene gateway – where the community lived in Jesus‘ time. Biblical Archaeology Review 23, No. 3, 22-31 und 64-67.]
UZ
Ursprünglicher Artikel: https://si-journal.wort-und-wissen.org/sij/article/view/4040/7725