09.12.2025: Wenn dieselbe Ameisenkönigin zwei verschiedene Arten hervorbringt

09.12.2025: Wenn dieselbe Ameisenkönigin zwei verschiedene Arten hervorbringt

Königinnen der Iberischen Ernteameisen (Messor ibericus) können als Nachkommen zwei verschiedene Arten erzeugen, sodass ihre Kolonien eine Mischung aus zwei verschiedenen Arten und Hybriden (Mischlingen) darstellen. Dieses spektakuläre und bisher unbekannte Verhalten lässt sich allerdings nicht nur in einem evolutionären Kontext, sondern auch im Rahmen von getrennt geschaffenen Grundtypen deuten.

Benjamin Scholl

Ameisen (Formicidae) sind faszinierende Tiere, die in eusozialen Gemeinschaften leben, welche in der Regel aus folgenden, aufeinander angewiesenen sozialen Kasten bestehen: 1) Eine oder mehrere Königinnen, 2) wenige Männchen zur Begattung der Königinnen und 3) viele unfruchtbare Arbeiterinnen. Neben Ameisen leben auch andere Insekten wie Termiten, Hummeln, soziale Faltenwespen, Honigbienen und Stachellose Bienen – sowie Nacktmulle als einzige Säugetiere – in eusoziale Lebensgemeinschaften mit aufeinander angewiesenen sozialen Kasten.[1]

Normalerweise funktioniert ein eusozialer Ameisenstaat so, dass sich eine Königin mit Männchen ihrer Art paart und dann die Spermien in der Spermathek einlagert, einer Art Samentasche, – und zwar Millionen davon über viele Jahre hinweg.[2] Kombiniert die Ameisenkönigin nun ihr eigenes mütterliches Erbgut mit dem väterlichen Erbgut, so entstehen entweder Ameisenköniginnen oder unfruchtbare Arbeiterinnen. Die Frage, ob sich Weibchen dann zu einer fruchtbaren Königin oder einer unfruchtbaren Arbeiterin entwickelt, hat typischerweise mit genetischen Veranlagungen, der Ernährung und anderen Umweltfaktoren (wie Temperatur) sowie den Königinnenpheromonen der erwachsenen Königin(nen) zu tun. Die Ausprägung wird dabei epigenetisch reguliert, d. h. durch An- oder Abschalten von Genen, welche die Ausbildung der Fortpflanzungsorgane steuern. Männchen hingegen entstehen normalerweise aus einem unbefruchteten mütterlichen Ei (Juvé et al. 2025, 2).

Es geht auch anders

Jüngst hat eine neue Studie von Juvé et al. (2025) einen spektakulären Fall nachgewiesen, in dem einiges anders verläuft als in einer typischen Ameisenkolonie. Die Wissenschaftler führten Untersuchungen an der auch in Deutschland beheimateten Iberischen Ernteameise (Messor ibericus) durch. Dabei stellten sie fest, dass in vielen Kolonien zwei verschiedene Arten (!) von Ameisenmännchen von derselben, einzigen Königin des Nestes produziert werden (= Xenoparität): Bei den Männchen gibt es normale Messor-ibericus-Männchen (Abb. 1c) und artfremde Messor-structor-Männchen (Abb. 1d; erkennbar an der fehlenden Behaarung). Die weiblichen Arbeiterinnen hingegen sind Hybrid-Arbeiterinnen (Abb. 1b) – bestehen also zur Hälfte aus dem Erbgut von M. ibericus und M. structor. Die neuen Königinnen (Abb. 1a) wiederum sind normale Messor-ibericus-Königinnen.

Abb. 1  a M.-ibericus-Königin, b Hybridarbeiterinnen, cM.-ibericus-Männchen, d M.-structor-Männchen (geklont), e M.-structor-Männchen (Wildtyp). (Nach © Juvé et al. 2025, CC BY 4.0, http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

Wie genau kommt dieses seltsame Phänomen zustande?

Juvé et al. (2025) fanden in sorgfältigen Experimenten und genetischen Untersuchungen heraus, dass sich die Ameisenköniginnen mit Männchen beider Arten paaren und dann deren Spermien aufbewahren.

(1) Die arteigenen M.-ibericus-Männchen entstehen, wenn – wie bei Ameisen typisch – nur das mütterliche Erbgut in einfacher Ausfertigung (haploid) in der Eizelle heranreift. In einem Langzeitexperiment (eine Kolonie in 18 Monaten) waren dies drei von fünf geschlüpften Männchen (S. 2).

(2) Die artfremden M.-structor-Männchen entstehen hingegen, indem die Ameisenkönigin ausschließlich das haploide Erbgut der gespeicherten M.-structor-Spermien in ihre Eier integriert, diese also klont. Dies war bei 16 isolierten Königinnen in 9 % der Eier in den ersten 24 Stunden der Fall (S. 2). Auch von anderen Tiergruppen ist ein solcher Androgenese-Prozess bekannt: Dabei werden Männchen nur mit Spermienerbgut statt mit mütterlichem Erbgut erzeugt, entweder durch die Befruchtung einer Eizelle ohne Zellkern oder durch die Eliminierung des mütterlichen Erbguts nach der Befruchtung (S. 2).

(3) Kombiniert die Königin ihr mütterliches Erbgut mit M.-structor-Spermien, entstehen Hybrid-Arbeiterinnen, die diploid (jedes Chromosom doppelt vorhanden), aber unfruchtbar sind (wahrscheinlich aufgrund epigenetischer Regulation).

(4) Königinnen entstehen, wenn – wie bei Ameisen typisch – das mütterliche Erbgut mit dem väterlichen Erbgut der M.-ibericus-Spermien zu einem diploiden Erbgut kombiniert wird. Theoretisch könnten entsprechend auch normale M.-ibericus-Arbeiterinnen gebildet werden; die Studie von Juvé et al. konnte aber keine solchen Arbeiterinnen nachweisen.

Es gibt somit vier verschiedene Typen von Nachkommen in den untersuchten Kolonien, weil nach aktuellen Erkenntnissen ausschließlich Hybrid-Arbeiterinnen und keine reinrassigen M.-ibericus-Arbeiterinnen vorhanden sind (vgl. Juvé et al. 2025, Suppl. Tabl. 1).

Das Verhalten des eigenständigen Klonens von M.-structor-Männchen hat sich bei vielen M.-ibericus-Kolonien durchgesetzt, obwohl es auch noch den Wildtyp gibt, der nur normale M.-ibericus-Männchen aufweist und die Hybrid-Arbeiter dann durch Paarung mit wildlebenden M.-structor-Männchen (Abb. 1e) erzeugt. Interessant ist insbesondere, dass artfremde M.-structor-Männchen auch in Regionen produziert werden, in denen es diese Art gar nicht gibt (in bis zu 1000 km Distanz; s. Abb. 2).

Abb. 2 Die Hybrid-Arbeiterinnen (blau-rot) von M. ibericus findet man auch weit entfernt von M.-structor-Populationen (z. B. auch in Deutschland): das Fragezeichen („?“) dort steht für die selbsterzeugten M.-structor-Männchen. SNP = Single-Nucleotid-Polymorphism = Einzel-Buchstaben-Unterschiede in der DNA. (Nach © Juvé et al. 2025, CC BY 4.0, http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

Wie ist dieses erstaunliche Phänomen erklärbar?

Juvé et al. (2025, 1) zufolge haben sich die beiden betreffenden Arten molekularen Uhren zufolge vor 5 Millionen radiometrischen Jahren (MrJ) auseinander entwickelt, bevor der Prozess der „Zwei-Arten-Kolonien“ begonnen hat. Sie gehen davon aus, dass es zuerst zu einem Spermienparasitismus gekommen ist. Dieses Verhalten tritt sowohl fakultativ (wahlweise) als auch obligat (verpflichtend) bei Ameisen und anderen Tieren häufiger auf (S. 3): Königinnen paaren sich mit Männchen anderer, verwandter Arten und erzeugen so ihre Arbeiterinnen. Bei verschiedenen Ameisenarten gibt es hierbei prinzipiell zwei Möglichkeiten: 1) Es entstehen dadurch Hybridarbeiterinnen, wie es hier der Fall ist. 2) Alternativ nutzen die Königinnen die fremden Spermien nur, um die Eizellenbildung von Arbeiterinnen anzuregen, die dann aber ausschließlich mit mütterlichem Erbgut gefüllt werden. Diese Form der spermienabhängigen Jungfernzeugung (bzw. des Klonens) tritt z. B. auch bei Fischen auf: Giebel-Weibchen nutzen Karauschen-Spermien entsprechend.[3]

Nach dem Spermienparasitismus sei es anschließend zur Androgenese, also dem Klonen von Männchen, gekommen, sodass M.-structor-Männchen quasi jederzeit verfügbar wurden. Die Autoren sprechen gar von einer Art „Domestizierung“ dieser Männchen, welche sich als nahezu haarlose Variante und mit deutlich geringerer genetischer Vielfalt von ihrer Wildform unterscheiden, bei der immerhin 44 % der M.-structor-Männchen behaart sind (S. 1–3). Durch die Paarung mit diesen domestizierten Männchen seien nun permanent Hybrid-Arbeiterinnen produzierbar geworden. Von 164 untersuchten Hybridarbeiterinnen der Studie waren 144 durch „domestizierte“ und 20 durch wildlebende M.-structor-Männchen gezeugt worden, wobei letzteres natürlich nur in Regionen (s. Abb. 2) möglich ist, in denen beide Arten vorkommen (S. 3).

Langfristig hätte sich die Erzeugung von Hybridarbeiterinnen als erfolgreicher herausgestellt, weshalb die Königinnen einen Selektionsvorteil aufwiesen, die verstärkt Hybrid-Arbeiterinnen-Eier legten, bis sich dieses Verhalten durchsetzte. So konnte sich diese „Zwei-Arten-Kolonie“ sehr weit ausbreiten und neue Lebensräume besiedeln.

Als einen Selektionsvorteil dieses Verhaltens vermuten die Autoren zwei mögliche Faktoren (S. 3): 1) Die Hybridarbeiterinnen könnten widerstandsfähiger bzw. leistungsfähiger sein, immerhin weisen die Hybridarbeiterinnen durchschnittlich15-mal mehr Heterozygotie (d. h. Genorte mit mehreren Varianten; s. Abb. 2) und somit mehr genetische Vielfalt und auch Flexibilität auf als ihre Königinnen (S. 1) – bzw. als dementsprechend die reinrassigen Arbeiterinnen aufweisen würden. Es wäre auch denkbar, dass Verlustmutationen die Arbeitsfähigkeit in der reinrassigen M. ibericus-Arbeiterinnen mit der Zeit massiv einschränkten und Nester mit solchen Arbeiterinnen nicht konkurrenzfähig waren. 2) Es könnte auch sein, dass die genetische Linie der ursprünglichen M.-ibericus-Weibchen durch genetische Prädisposition dazu geneigt hat, zu viele Königinnen und zu wenig Arbeiterinnen auszubilden, was in solchen Kolonien große Nachteile mit sich gebracht hätte. Dementsprechend könnten (zufällige) Paarungen und Erzeugungen von vielen Hybrid-Arbeiterinnen Vorteile mit sich gebracht haben, bis ausschließlich diese Linien überlebten. Es wäre somit eine lohnende Forschungsaufgabe, diese beiden Hypothesen zukünftig empirisch zu untersuchen.

Deutung im Rahmen des Grundtypmodells

Nach bisherigen Grundtypstudien ist es nicht überraschend, dass sich Arten auch dann noch miteinander fortpflanzen können, wenn sie seit 5 MrJ getrennt sind. Diese Zeitangabe ist aus schöpfungstheoretischer Perspektive nicht als abgelaufene Zeit zu verstehen, sondern als ein Maß für die genetischen Unterschiede zwischen den Arten. In einem bekannten Fall (Stör und Löffelstör) funktioniert das sogar nach einer Trennung seit 180 MrJ, was die Interpretationen im Rahmen der konventionellen Zeitskala in Frage stellt (vgl. Borger & Scholl 2024; Scholl 2024; Kutzelnigg & Scholl 2025. Geschaffene Grundtypen entsprechen häufig der Ebene der Familie (selten darüber, teilweise darunter), weswegen die beiden Ameisenarten derselben Gattung sicherlich zu demselben Grundtyp gehören, der sich im Rahmen von Mikroevolution in verschiedene Arten aufgespalten hat. Dabei gehörte die Fähigkeit zur Androgenese, d. h. zum Klonen von haploiden Männchen mittels Spermien-Erbgut, bereits zu Inventar dieses Grundtyps. Androgenese ist nämlich nicht nur bei Messor ibericus, sondern auch bei Wasmannia auropunctata und Vollenhovia emeryi vorhanden, die zu derselben Unterfamilie (Myrmicinae) gehören und damit wahrscheinlich zum selben Grundtyp (Rey et al. 2013, 1).

Weitere zur Androgenese fähige Arten sind: Paratrechina longicornis aus einer anderen Ameisen-Unterfamilie (Formicinae), vier Arten der Körbchenmuscheln (Corbicula) und verschiedene Arten der Bacillus-Stabheuschrecken (ebd.).

Man kann also davon ausgehen, dass die Fähigkeit zur Androgenese genetisch bereits bei Messor ibericus angelegt war (wenn auch vielleicht nicht genetisch aktiv). Eine Entstehung neuer, komplexer genetischer Information durch zukunftsblinde, zufällige Naturprozesse (wie Selektion und Mutation) im Rahmen von „innovativer Evolution“ (Makroevolution) ist somit nicht nachgewiesen.

Hatte es sich nun bei Messor ibericus erst einmal etabliert, dass so eigene artfremde Männchen zur Erzeugung von vorteilhaften Hybrid-Arbeiterinnen geklont werden konnten, setzte sich dieses Verhalten durch und sorgte für eine weite Verbreitung der Zwei-Arten-Kolonien. Auch in der sonstigen Hybridforschung ist es keine neue Erkenntnis, dass Hybrid-Individuen der 1. Generation, die also 50 % Erbgut der mütterlichen und 50 % Erbgut der väterlichen Art in sich tragen, durch die Kombination von Merkmalen häufig besonders groß, stark, widerstandsfähig oder schnellwachsend sind.[4] Daher wird auch in der Landwirtschaft häufig mit Hybrid-Sorten bzw. Rassen gearbeitet.

Dieser Aspekt von Hybriden ist aus grundtypenbiologischer Perspektive auch gar nicht überraschend: Immerhin entstehen nach dem Grundtypmodell Arten dadurch, dass Merkmalskombinationen genetisch vielfältiger Vorfahren des Grundtyps verloren gehen, sodass bestimmte Merkmalskombinationen in Form von verschiedenen Arten fixiert werden (vgl. Crompton 2019). Hybridisierung kann nun (je nach Lebensumständen) zu besonders vorteilhaften Kombinationen von väterlichem und mütterlichem Erbgut führen, die aber durch weitere Kreuzung in der 2., 3., … n. Generation immer weiter verloren gehen würden. Dem wird bei Messor ibericus entgegengewirkt, indem durch die Paarung mit geklonten bzw. wilden M.-structor-Männchen ständig Hybrid-Arbeiterinnen der 1. Generation erzeugt werden. Menschen sind also nicht die erste Spezies, die Hybrid-Züchtungen einsetzt.

Fazit

Die Zwei-Arten-Kolonien der Iberischen Ernteameisen (Messor ibericus) sind ein spektakulärer Fall, bei dem das ausgereizt wurde, was bereits an Fortpflanzungsstrategien im ursprünglich geschaffenen Grundtyp vorhanden war. Man könnte entsprechende komplexe Fortpflanzungssysteme wie Androgenese dementsprechend als gezielt geschaffenen Mechanismen deuten, welche möglichst erfolgreiche mikroevolutive Anpassungen an wechselnde Umweltumstände ermöglicht. Makroevolution im Sinne Darwins konnte hierbei aber nicht nachgewiesen werden.

Danksagung

Ich danke Dr. Reinhard Junker, Dr. Peter Borger und Prof. Dr. Henrik Ullrich für inhaltliche Hinweise.

Literatur

Borger P & Scholl B (2024) Evolutionärer Stillstand bei „lebenden Fossilien“ auch auf molekularer Ebene. Genesisnet-News vom 28.05.2024, https://genesis-net.de/n/340-0/.

Crompton N (2019) Mendel’sche Artbildung und die Entstehung der Arten. W+W Special Paper B-19-3, https://www.wort-und-wissen.org/artikel/mendelsche-artbildung-und-die-entstehung-der-arten/.

Juvé Y et al. (2025) One mother for two species via obligate cross-species cloning in ants. Nature, https://doi.org/10.1038/s41586-025-09425-w.

Kutzelnigg H & Scholl B (2025) Zusammenstellung vorläufiger Grundtypen (Auswahl). W+W-Onlineartikel vom 25.02.2025, https://www.wort-und-wissen.org/artikel/grundtypentabelle/.

Rey O et al. (2013) Androgenesis is a maternal trait in the invasive ant Wasmannia auropunctata. Proc. R. Soc. B 280: 20131181, http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2013.1181.

Scholl B (2024) Die Störartigen. Ein Missgeschick enthüllte einen „uralten“ Grundtyp. Stud. Integr. J. 31, 124–127, https://www.si-journal.de/index2.php?artikel=jg31/heft2/sij312.html.

Fußnoten


[1] Vgl. Lexikon der Biologie, https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/staatenbildende-insekten/63165.

[2] Vgl. Lexikon der Biologie, https://www.spektrum.de/news/dauerhafte-spermien-aufbewahrung-kann-ameisenkoeniginnen-schwaechen/843249

[3] Vgl. IGB -Leipniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, vom 19.07.2022, https://www.igb-berlin.de/news/invasive-fischart-erfolgreich-durch-spermien-parasitismus.

[4] Vgl. Lexikon der Biologie, vgl. https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/hybridzuechtung/32993.

Artikel auf der alten Genesisnet-Website lesen.

Hier gibt es weitere News zu Grundtypbiologie und Evolutionsfaktoren.

Relevante Grundlagen zum Thema Grundtypen und Evolution finden sich in den jeweiligen Grundlagen-Artikeln.