Die verlorene Stadt: Wiederentdeckung von Bethsaida nach mehr als 17 Jahrhunderten
Von allen Orten werden nur Jerusalem und Kapernaum öfter in den Evangelien erwähnt als Bethsaida, die Fischersiedlung am See Genezarath. Drei Jünger Jesu, Philippus, Andreas und Petrus stammen von hier. Aus der Umgebung der Stadt berichtet das Neue Testament von zahlreichen Taten Jesu, von der Heilung eines Blinden (Markus 8), der Speisung der 5000 (Lukas 9) u.a.m. (vgl. a. Matth. 11, 20-23). Und doch waren bereits frühchristliche Pilger nicht mehr in der Lage, den Ort zu lokalisieren. Das Rätsel bleib bis in die allerjüngste Zeit ungelöst. Im Jahre 1838 meinte der Amerikaner Edward Robinson einen Hügel zweieinhalb Kilometer nordöstlich des Sees Genezarath als Bethsaida identifizieren zu können. Er nannte ihn einfach et-Tell (der Hügel). Durchsetzen konnte sich dieser Vorschlag aber seinerzeit nicht. Was sollte eine Fischersiedlung soweit entfernt vom Wasser zu suchen haben? Lange Zeit waren statt dessen andere Stellen direkt am Seeufer im Gespräch. Unlängst sammelte nun ein Archäologenteam der Universität von Nebraska eine Reihe von Hinweisen, die kaum noch einen Zweifel daran lassen, daß et-Tell tatsächlich Bethsaida war. Rami Arav und Richard A. Freund konnten nachweisen, daß et-Tell von allen diskutierten Stellen die einzige ist, die in der fraglichen Periode von 37 v. Chr. bis 324 n. Chr., der römischen Zeit, überhaupt besiedelt war. Die entscheidende Erklärung für die seltsame Lage des Ortes gelang schließlich dem dritten im Bunde, dem Geologen John F. Shroder. Es ist nicht ungewöhnlich, daß antike Hafenstädte heute einige Kilometer im Landesinneren liegen. Im Falle von et-Tell konnte Shroder anhand von Seeablagerungen einschließlich Resten von Krustentieren am Fuß des Hügels zeigen, daß der Ort in früherer Zeit direkt am Seeufer gelegen hatte. Radiokarbondatierungen der Reste weisen auf Alter zwischen 68 und 375 n. Chr. hin. Später wurden diese Ablagerungen mit Kies und Geröll überschüttet. Die Forscher vemuten, daß das große Erdbeben des Jahres 363 v. Chr. und große Erdrutsche das Seeufer zurückverlagert haben. Bethsaida blickte zu Jesu Zeiten bereits auf eine große Vergangenheit zurück. Die Forscher vermuten, daß der Ort zeitweilig die Hauptstadt des starken Königreiches von Geschur war, das bereits in den el-Amarna-Briefen (konventionell ins 14. Jhd. v.Chr. datiert) erwähnt wurde. Im zehnten Jahrhundert war die Stadt mit David verbündet. Später wurde sie u.a. von den Assyrern erobert. In neutestamentlicher Zeit kam dem Ort nur noch eine Rolle als Provinzstadt zu. Nach Josephus wurde Bethsaida 30 n.Chr. unter Philippus, dem Sohn Herodes des Gr. zu Ehren Julia-Livias, der Gattin des römischen Kaisers Augustus und Mutter des Tiberius in Julias umbenannt. Mit diesem Ereignis könnte ein römischer Tempel in Verbindung stehen, den die Ausgräber ebenfalls entdeckten. Im dritten Jahrhundert wurde die Stadt vermutlich wegen des Rückzuges des Seeufers aufgegeben.

Abb. 1: Nordufer des Sees Genezareth heute (oben) und vor 2000 Jahren (unten)
[Arav R, Freund RA & Shroder JF (2000) Bethsaida Rediscovered. Long-Lost City Found North of Galilee Shore. Biblical Archaeology Review 26, S. 45-56.] UZ
Ursprünglicher Artikel: https://si-journal.wort-und-wissen.org/sij/article/view/3931/7515