„Steinerne Wasserkrüge nach der Reinigungssitte der Juden“ (Johannesevangelium Kap. 2)

„Steinerne Wasserkrüge nach der Reinigungssitte der Juden“ (Johannesevangelium Kap. 2)

Im Ostteil Jerusalems haben Ausgräber um den Leiter der Israelischen Altertumsbehörde, Yitzhak Magen, in einer Höhle die Reste eines Kalksteinbruchs und einer Steinmetzwerkstatt aus dem ersten Jahrhundert n.Chr. freigelegt. Was den Fund besonders interessant macht, sind die Produkte dieser Werkstatt: aus Kalkstein gearbeitete unterschiedlich große Behälter, die nach Meinung der Archäologen für die rituelle Reinigung angefertigt wurden. Diese Behälter waren während der zweiten Tempelperiode (1. Jhd. v.Chr. bis 70 n.Chr.) offensichtlich in außerordentlich großer Stückzahl produziert worden. Sie sind an mehr als 60 Orten im Palästina dieser Zeit nachgewiesen. Warum gerade Steinbehälter? Nach Ansicht des traditionellen Judentums zur Zeit Jesu konnten aus Stein gearbeitete Behälter anders als etwa Keramikgefäße nicht rituell verunreinigt werden. Für den täglichen Gebrauch war dies ein immenser Vorteil, die Steingefäße brauchten weder ständigen rituellen Reinigungsprozeduren unterzogen werden, noch mußten sie im Falle einer Verunreinigung entfernt werden. Daß die Bedeutung religiöser Satzungen im Judentum gerade z.Z. Jesu eine nie dagewesene Steigerung erfahren hat, ist neben den Evangelienberichten auch aus anderen Quellen bekannt. Nach der Zerstörung des herodianischen Tempels berichtet ein rabbinischer Text davon, daß „die Reinheit unter den Israeliten ausgebrochen sei“. Auch aus der Welt der Essenersekte ist bekannt, daß die Interpretation der Reinigungsvorschriften ein zentrales Thema war, um das viele Auseinandersetzungen geführt wurden. Daß reines Wasser, welches in einen unreinen Behälter gegossen wurde, dadurch verunreinigt wurde, war allgemein anerkannt. Wie verhielt es sich aber mit dem vormals reinen Behälter aus dem das Wasser entnommen war? Schließlich war er durch den Wasserstrahl mit dem unreinen Behälter in Verbindung gekommen. Mußte ihn das nicht auch verunreinigen? Der Vorteil steinerner Behälter, die nicht verunreinigt werden konnten, liegt angesichts solcher Diskussionen auf der Hand. Ein neutestamentliches Beispiel für den Gebrauch steinerner Behälter findet sich im Johannesevangelium, Kap. 2, dem Bericht vom Auftreten Jesu auf der Hochzeit von Kana, wo von „sechs steinernen Wasserkrügen nach der Reinigungssitte der Juden“ die Rede ist.

Archäologische Indizien für die gesteigerte jüdische Religiosität während der zweiten Tempelperiode sind seit längerem bekannt. So wurde das Bilderverbot in den Synagogen zu keiner Zeit so streng eingehalten wie in den Jahrzehnten nach Christi Geburt. Auch die Zahl der rituellen Bäder in den Häusern der Vornehmen war nie so groß gewesen wie zu dieser Zeit. Eine Frage, die die Gelehrten seit längerer Zeit beschäftigt hat, ist, inwieweit es sich bei dieser religiösen Welle nur um eine Modeerscheinung unter den Reichen gehandelt hat, oder ob das ganze Volk davon betroffen war. Hier scheinen die steinernen Gefäße eine Antwort zu geben. Sie waren in Palästina überall verbreitet, außer in Samaria und im Bergland um Hebron. Dies war zu erwarten, denn beide Regionen waren z.Z. Jesu von Samaritern bzw. Edomitern bewohnt. Interessanter ist, daß sie auch in bestimmten wohlhabenden jüdischen Orten, wie Herodium, einer Redoute König Herodes‘ und Sebastia, einer der Hauptstädte der nördlichen Königreiches Israel, nicht gefunden wurden. Die Archäologen deuten diesen negativen Befund so, daß die Benutzung der steinernen Gefäße eher auf die einfachen Gesellschaftsschichten beschränkt war. Die Wohlhabenden könnten mithin Behältnisse aus teureren Materialien genutzt haben, die den strengen Reinigungsvorschriften ebenfall gerecht geworden wären. Die Intensivierung des kultisch-religiösen Lebens in den letzten Jahrzehnten vor der Zerstörung des Tempels hatte also das ganze Volk erfaßt. Für die Zeit danach sind steinerne Reinigungsgefäße nur noch vereinzelt nachgewiesen, etwa im Umfeld um den Rebellenführer Bar Kochba. Nach der Niederschlagung dieses letzten Aufstandes im Jahre 135 n.Chr. verschwanden sie endgültig.

[Magen Y (1998) Ancient Israels’s Stone Age. Purity in Second Temple Times. Bibl. Archaeol. Rev. 24, Sept./Okt., 46-52.] UZ

Ursprünglicher Artikel: https://si-journal.wort-und-wissen.org/sij/article/view/4002/7652

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